Leseprobe aus:

Gespräche mit Lucy, Band 1, Trinität

 

Es war Abend. Der alte Mann rief: "Lucy". Lucy hörte es und kam angerannt. Als sie bei ihm war, sagte er zu ihr: "Wie du weißt, hat der heilige Franziskus den Tieren gepredigt. Obwohl ich nicht der heilige Franziskus bin, will ich trotzdem mit dir reden, damit du mir nicht einmal vorwirfst, ich hätte dir nichts beigebracht": Lucy legte sich auf ihren Lieblingsplatz und richtete erst ihre Hinter- und dann ihre Vorderbeine bequem zurecht. Da begann der alte Mann: "Heute scheint es zunächst schwierig zu werden, aber das hört sich nur so an, wir werden es Schritt für Schritt auf die Reihe bekommen. Ich werde mit dir über die Gegensätze von Matriarchat und Patriarchat sprechen". Lucy gähnte, riss ihr Maul wieder einmal so weit auf, dass man von ihrem Raubtiergebiss fast Angst bekommen konnte und streckte ihre Vorderpfoten weit von sich. Der alte Mann merkte sofort, dass er seine Zuhörerin schon überfordert hatte. Deshalb sagte er: Du weißt natürlich nicht, was mit Matriarchat und was mit Patriarchat gemeint ist. Im Patriarchat haben die Männer das Sagen und die Frauen kuschen und im Matriarchat haben die Frauen das sagen ....., so könnte man es ganz grob betrachtet ausdrücken. Wie es fein betrachtet aussieht, darüber wollen wir heute reden". Das verstand sie, zog ihre Pfoten wieder zurück, und so fuhr der alte Mann fort: Wir leben in einer gegensätzlichen Welt, Hündin oder Rüde, fressen oder gefressen werden, Opfer oder Täter. In dieser gegensätzlichen Welt gibt es dementsprechend eine gegensätzliche Art und Weise, etwas zu betrachten oder zu erleben. Das Philosophieren in solchen Schwarz-Weiß-Kathegorien, wie wir es jetzt vorhaben, löste die chinesische Weisheit mit dem Namen 'I Ging' schon lange vor Konfuzius auf. Zunächst gab es 8, später 64 Abstufungen zwischen Yin und Yang. Ich zeige jetzt die äußersten Extreme auf, die nicht immer und Überall vorhanden waren. Seit fünftausend Jahren betrachten wir die Dinge hauptsächlich nur von einer Seite her, von der männlichen Sichtweise aus. So entspricht unser gängiges Weltbild im wesentlichen auch dieser Sichtweise. Nun will ich dir den Blick für den Wertvorstellungswandel vom Matriarchat zum Pateriarchat weiten. Im Matriachat wird die göttliche Mutter Erde am liebsten in ihrer Gebärmutter, einer natürlichen Höhle, einem Erdtrichter oder in ihrer Scheide, einer Erd- oder Felsspalte, verehrt, aber auch an anderen Orten der Natur, wie auf Bergen oder an Wassern. Das Patriarchat dagegen bevorzugt künstlich errichtete Gebäude, am liebsten mit vielen erregten männlichern Gliedern als Türme oder Minarette, die sich in den Himmel erheben, um den göttlichen Vater dort zu verehren. Die sprachliche Verwandschaft von Matriarchat und Materie zeigt, was im Mittelpunkt des matriarchalen Ideals steht, ein materieller Körper, dagegen im Patriarchat der nichtmaterielle Geist. Diese patriarchale Idee gipfelt beim Tod auf dem Schlachtfeld in der Aussage: 'Der Körper ist nichts, der Geist alles'. Man sagt, das Matriarchat sei durch die weibliche Erbfolge, von der Mutter auf die Tochter, das Patriarchat durch die männliche, vom Vater auf den Sohn, festgelegt, aber darin besteht ein grundlegender Fehler, denn ein Erbe setzt Besitz voraus, den es im Matriarchat nicht gab.